Mehr als 6 Millionen Tonnen Lebensmittel landen laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft jährlich in privaten deutschen Haushalten im Müll. Das sind 52 % aller jährlichen Lebensmittelabfälle in Deutschland. Pro Verbraucher*in werden so 75 kg Lebensmittel im Jahr in den Mülleimer geworfen. In Darmstadt würde dies 12.000 Tonnen Lebensmittelabfälle bedeuten. Um dem entgegenzuwirken haben sich einige Engagierte privat zur Lebensmittelrettung in Darmstadt zusammengetan. Online in Facebook-Gruppen oder ganz privat an der Tankstelle kommen Darmstädter*innen zusammen, um zumindest die noch essbaren Sachen vor dem Müll zu retten.
Steffi rettet Lebensmittel. Die Frau in Ihrem Auto mit dem Drachen darauf ist heute dran die übrigen Lebensmittel aus dem kleinen Shop an der Tankstelle in Darmstadt-Nord abzuholen. Es ist Abend, die Tankstelle ist durch die Laternen in ein gelbes Licht getaucht. Auf dem Rücksitz ihres silbernen Opel-Zafiras wartet Steffis Assistenz-Hündin Befana mit ihrem leuchtenden roten Halsband darauf, dass ihr Frauchen sich in die Tankstelle begibt.
Zwölf Engagierte wechseln sich dort mit dem Abholen der Lebensmittel ab, zehn weitere an einer anderen Tankstelle. Die Besitzerin der beiden Tankstellen ist ein Bekannte von Steffi. Darüber kam der Kontakt zustande. Steffi bekam mit, wie unverkaufte Lebensmittel am Abend in den Müll geworfen werden. Da ergriff sie Initiative. Sie rettete bereits vorher schon Lebensmittel aus einem Supermarkt. Auch damals verteilte sie das gerettete Essen an Bedürftige.
Steffi zieht sich nun eine Maske auf und geht hinein. Dort steht bereits eine graue Kiste bereit, in die sorgfältig die unverkauften Lebensmittel des Tages hineingelegt wurden. Der Tankstellenverkäufer grüßt Steffi mit „Würstchen gibt es heute keine scheinbar“. Beim Blick in die Kiste finden sich auch keine Würstchen, sondern Körnerbrötchen, Kaffeestückchen, Croissants, Laugenbrötchen und Belegtes. Sie zieht sich Handschuhe an und packt die Lebensmittel in eine mitgebrachte Tüte.
Ganz privat an einer Tankstelle
Die Darmstädterin rettet aus Leidenschaft. Sie hört sich um und rettet wo sie kann. Die beiden Gruppen für die zwei Tankstellen in Darmstadt hat sie auch komplett selbst und privat organisiert. Das hat auch Vorteile, sagt sie. Entgegen größerer Organisationen kann man sich bei ihr schnell und unkompliziert beteiligen. „Wenn mir mittwochs jemand schreibt, er hat Interesse zu helfen, kann er samstags schon zur Probeabholung mitkommen, auch jetzt während der Pandemie.“ Steffi ist damit auch schon etwas bekannt in Darmstadt. An ihrem markanten Auto werde sie mittlerweile schon erkannt und bekommt so Tipps, wo sie zum Beispiel Hundefutter retten kann.
Die Lebensmittel gehen an Bedürftige
Aus der Tankstelle heraus, wird die Maske abgesetzt. Die Tasche ist voll und schwer. Sie wird nun an Petra übergeben. Die Frau mit den rosa Haaren erwartet Steffi schon vor der Tanke. Sie wird die Tasche mit nachhause nehmen und die geretteten Lebensmittel in kleine Tütchen portionieren. Sie erklärt, dass sie dann ein paar Tüten an „Stammkunden“ verteilen wird. Diese holen sich immer etwas von den geretteten Sachen. Ansonsten verkündet Petra über verschiedene Gruppen, dass es neues Gerettetes gibt und wer Interesse anmeldet, kommt vorbei und holt es sich.
Petra ist nicht die Einzige, die die Lebensmittel abnimmt. Einige weitere Leute in direkter Nachbarschaft zu den beiden Tankstellen übernehmen an anderen fest zugeteilten Wochentagen den Job. Nur „echte Bedürftige“ werden angefunkt. Nur wenn Petra, Steffi und die Anderen wüssten, dass diese die Lebensmittel wirklich aufbrauchen und es auch nicht selbst wegwerfen werden, bekommen die Interessenten etwas.
„Unser Motto ist kurz und knackig: WIR RETTEN LEBENSMITTEL VOR DER TONNE!“
Eine andere private Möglichkeit zur Lebensmittelrettung in Darmstadt sind Facebook-Gruppen. Dort kann auch jeder kinderleicht selbst mitwirken im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. In den Gruppen „Lebensmittel teilen und verschenken Darmstadt“, „Lebensmittel-Retter Weiterstadt“ und „Essen teilen Pfungstadt“ (die Links zu den Gruppen findet ihr unten in der Infobox) haben sich insgesamt über 8600 Darmstädter*innen und Weiterstädter*innen privat zusammen zur Lebensmittelrettung zusammengetan:
Das Prinzip ist also ganz einfach. Wer Lebensmittel übrig hat und sie nicht mehr selbst essen will, setzt einen Post in der Gruppe ab. Dort können sich Interessenten melden. Dann wird privat abgesprochen, wann und wie die Lebensmittel abgeholt werden können. Das Mindesthaltbarkeitsdatum darf dabei überschritten sein. Denn abgelaufen heißt eben nicht ungenießbar. Aber die Gruppen haben noch weitere Regeln: In der Darmstädter Gruppe sollen alle Posts am besten mit „Give“, dem Mindesthaltbarkeitsdatum und dem Stadtteil, wo die angebotenen Lebensmittel abgeholt werden kann betitelt werden. Die Lebensmittel sind nur zu verschenken und dürfen nicht gegen Geld angeboten werden. Die Posts werden, nachdem die Lebensmittel abgegeben wurden wieder gelöscht.
Interessant ist aber, dass auch zubereitete Lebensmittel verschenkt werden können. Die Gruppe sagt dazu: „Vielleicht hast du auch einfach zu viel gekocht und würdest das Essen lieber teilen als es wegzuschmeißen?“ Das ist einzigartig an dieser Lebensmittelrettung im Klein-Anzeigen Format.
In den Facebook-Gruppen wird täglich reichlich angeboten. Babynahrung, Süßigkeiten, Marmeladen und anderes Eingekochtes. Egal ob es sich um ein nach Jahren im Keller gefundenes Glas Himbeermarmelade ist oder ein angebrochenes Schoko-Müsli, dass einem einfach nicht mehr schmeckt. In der Gruppe kann alles angeboten werden. Auch auf die Menge kommt es dabei nicht an. Es geht um Lebensmittelrettung in Darmstadt und alles noch genießbare, dass vor dem Wegwerfen gerettet wird ist ein Erfolg.
Du möchtest mehr über nachhaltige Aktionen zu Lebensmitteln in Darmstadt erfahren? Wirf doch mal einen Blick auf unsere letzten Blogposts dazu:
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