Darmstadts grüne Lunge: Matthias Kalinka vom Forstamt Darmstadt im Portrait

Zu einer wandelbaren Stadt wie Darmstadt gehören nicht nur Aktivist:innen und engagierte Bürger:innen – sondern auch Menschen, die sich beruflich mit Umwelt- und Naturfragen beschäftigen. Einer dieser Menschen ist der stellvertretende Forstamtsleiter Matthias Kalinka. Wir haben mit ihm über seinen Werdegang und die Bedeutung des Walds für das Ökosystem unserer Stadt gesprochen.

Matthias Kalinka ist der stellvertretende Forstamtsleiter in Darmstadt.

Bei Matthias Kalinka „förstert“ es gewaltig. Und zwar beruflich wie privat…

In Waldhessen, in der Nähe von Bad Hersfeld, aufgewachsen, bekam er schon als Kind erste Einblicke in die spannende Arbeit eines Försters, denn Vater und Onkel waren Förster. „Früher, da war der Förster eine Respektsperson bei uns im Ort“, sagt Kalinka. „Da kamen alle möglichen Leute zu uns in das elterliche Forsthaus, die hatten Wald oder wollten Holz. Da habe ich schon einiges mitgekriegt.“ Das habe ihn geprägt, genauso wie die Fernsehserie „Förster Horn“, die in den 1960er Jahren im deutschen Fernsehen lief: „Ich fand das immer cool, wie der Förster mit seinem Jeep in der Gegend herumgefahren ist, und Tiere gerettet hat und Leute geholfen hat“, erinnert sich Kalinka. Und so kam es, wie es kommen musste: nach Abitur und Wehrdienst sowie einem einjährigen forstlichen Pflichtpraktikum entschloss er sich, Forstwirtschaft an der FH Weihenstephan zu studieren.

Danach heuerte er zunächst bei den Bayerischen Staatsforsten an, später beim NABU. Und irgendwann bewarb er sich beim Rechnungshof Darmstadt, „weil die damals Förster suchten“. Und so landete Matthias Kalinka in Darmstadt, wobei er nach insgesamt 15 Jahren Tätigkeit beim Rechnungshof dann 2012 noch einmal die Fronten wechselte und zum Landesbetrieb Hessen Forst ging. Dort ist der „Forstoberamtsrat“, so die offizielle Amtsbezeichnung, inzwischen stellvertretender Forstamtsleiter.

Doch damit noch nicht genug der Försterei! Denn auch privat zieht es Kalinka immer wieder in den Wald, und zwar ehrenamtlich, als Naturschutzbeirat der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Sogar in seiner knapp bemessenen Freizeit geht er – dann allerdings als Fotograf – Sonntagsmorgens in aller Früh in den Wald, um Pflanzen und Tiere zu fotografieren. Nicht unerwähnt bleiben darf außerdem, dass auch Matthias Kalinkas Frau einer „Försterdynastie“ entstammt und einer seiner beiden Söhne inzwischen auch schon wieder Forstwissenschaften und Waldökologie studiert. Nachhaltiger kann man diesen Beruf kaum leben und weitergeben, oder?

Im Gespräch mit dem stellvertretenden Forstamtleiter Darmstadts, Matthias Kalinka

Sie sind so etwas wie der „Peter Wohlleben Darmstadts“. Sie stehen regelmäßig in der Zeitung, geben der Presse Interviews, halten Vorträge, führen Gruppen durch den Wald. Und jetzt haben Sie sogar einen Bildband veröffentlicht. Wie wird man „Presseförster“?

„Normalerweise haben Förster wenig Interesse an Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die wollen so schnell wie möglich in den Wald. Aber wir haben es hier in Darmstadt mehr mit Menschen zu tun als mit dem Wald. Und da müssen wir viel und vor allem gut kommunizieren, weil jeder von uns andere Nutzungsansprüche an den Wald hat und es da schnell zu Konflikten kommt, die dann leicht hochkochen. Da beschwert sich zum Beispiel der Radfahrer über den Hundehalter und der Jogger über den Spaziergänger. Deshalb ist es wichtig, dass es dafür einen Ansprechpartner im Forstamt gibt. Jemand, der aufklärt, der Fragen beantwortet, berät und auch mal die eigene Arbeit rechtfertigt. Außerdem gehört die Pressearbeit inzwischen sogar zu meinen Dienstaufgaben, neben vielen anderen Aufgaben. Und ich mache das auch ganz gern. Bei mir sagen manche Medienvertreter inzwischen sogar: ‘Ich rufe mal den Kalinka an. Der kann mir das wenigstens gut erklären.’“

Na, das klingt doch gut! Kränkt es Sie oder ehrt es Sie, mit Ihrem berühmten Kollegen verglichen zu werden?

„Das muss man differenziert sehen. Peter Wohlleben hat das Thema Wald publik gemacht; er hat das Thema gut aufbereitet und viele Menschen dafür begeistert. Das ist erst einmal positiv. Aber man muss auch sehen: er macht das Alles nicht zum Spaß, sondern er hat durchaus ein Interesse daran, sich zu verkaufen. Er hat daraus sogar einen eigenen Wirtschaftszweig gemacht, hält Vorträge, verkauft Bücher und betreibt eine eigene Waldakademie. Inzwischen hat er bestimmt schon Millionen damit verdient.“

Sprechen wir noch kurz über den Bildband ‘Darmstadts grüne Lunge’, den Sie im Herbst 2021 auf Initiative der Druckerei Reinheimer herausgegeben haben…

„Ich fotografiere seit meiner frühesten Jugend. Tausende Fotos sind dabei entstanden. Sie dokumentieren, wie sich das fragile Ökosystem Wald im Verlauf der Jahreszeiten verändert. Und als ich einmal bei einem Vortrag, den ich in Seeheim bei den Lions gehalten habe, gefragt wurde, wo man das alles, was ich sage, noch einmal nachlesen kann und wo man sich die schönen Fotos sonst noch anschauen kann, da habe ich verneint. Und nach dem Vortrag kam dann Herr Reinheimer auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich gemeinsam mit ihm einen Bildband herausbringen will. Da konnte ich fast schon nicht mehr ‘Nein’ sagen.“

Bildband „Darmstadts grüne Lunge. Impressionen aus den Wäldern der Region“
Der Bildband „Darmstadts grüne Lunge. Impressionen aus den Wäldern der Region“ von Matthias Kalinka ist im Buchhandel zum Preis von 29,80 Euro erhältlich.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als „Stadtförster“ aus?

„Gerade in einem großen Forstamt wie Darmstadt sind wir inzwischen nicht mehr nur Förster, sondern ‘Ökosystem-Manager’. Denn der Wald erfüllt ja viele Funktionen. Er dient dem Naturschutz und der Biodiversität genauso wie der Erholung oder der Holzproduktion. Da gibt es viele verschiedene Ansprüche und entsprechend auch Nutzungskonflikte. Und das muss man erst einmal in Einklang miteinander bringen, also managen.“

Und wie kann man mit diesen Konflikten umgehen?

„Jeder muss sich ein bisschen zurücknehmen. Es gibt eine Wohlverhaltensklausel, die sagt: ‘Jeder darf sich im Wald erholen, muss aber auch Rücksicht auf andere nehmen.’ Aber das machen leider die wenigsten. Jeder sieht nur sich.“

Die Arbeit von Hessen Forst wird ja in der Öffentlichkeit mehr kritisiert als gelobt, vor allem wenn es um die Sperrung von Waldstücken geht oder um die Holzernte…

„Ja, das ist wirklich ein Problem, mit dem wir immer wieder zu kämpfen haben. Wir machen eigentlich nur unsere Arbeit und für alles gibt es auch gute Gründe. Wenn Sie zum Beispiel viele kleine Laufwege in einem Waldstück haben und dort ein Sturm hindurchfegt und viele Bäume umwirft, dann kann es unter Umständen sinnvoller sein, den Wald zu sperren, und nicht überall Holz herauszuziehen und breite Schneisen zu schlagen, um die Wege wieder frei zu kriegen, damit die Leute dort wieder sicher spazieren gehen können. Aber letztendlich empört sich bei solchen Prozessen meist irgendjemand. Und dann kommt diese einzelne Meinung häufig in der Presse als Mehrheitsmeinung rüber, was der Sache nicht gerecht wird.“

Wo Sie das Holz erwähnen: Hessen Forst bietet tatsächlich ein erstaunliches Spektrum an Dienstleistungen an. Auf der Website steht zum Beispiel, dass man bei Ihnen Brennholz und Tannenbäume kaufen kann, aber auch Wild. Und man kann die Dianaburg anmieten. Oder einen Waldpädagogen für Schulklassen engagieren…

„Das ist schön, dass Sie das mal so sagen! Denn wir sind eigentlich die Guten, werden aber häufig auf emotionale Themen reduziert und kommen dabei meist noch schlecht weg.“

Kommen wir noch mal auf Ihren Arbeitsalltag zu sprechen. Wie sieht der aus?

„Ich sitze mehr im Büro, als dass ich draußen bin. Das ist schade, liegt aber an meinen vielfältigen Aufgaben als Bereichsleiter für Dienstleistung und Hoheit, zu denen neben der erwähnten Pressearbeit und der Waldpädagogik auch der Naturschutz und die Förderung für private und kommunale Waldbesitzer gehören, aber genauso gut auch die Ernte von Saatgut, das dann in unsere eigene Saatgut-Darre in Hanau-Wolfgang kommt, oder die Umsetzung der hessischen Waldgesetze und der Bundeswaldgesetze. Außerdem mache ich auch das gesamte Liegenschaftsmanagement.“

Was müssen wir uns darunter vorstellen?

„Der Wald ist gepflastert mit Hauptversorgungsleitungen. Von Wasser über Glasfaser bis hin zu Strom und so weiter geht vieles mitten durch unsere Wälder. Und da mache ich die Verträge dafür mit den jeweiligen Dienstleistern und überwache die auch.“

Zu Ihren Dienstaufgaben gehört auch die Jagd, richtig?

„Ja. Wir müssen immer schauen, dass wir ein ökologisches Gleichgewicht im Wald hinbekommen. Wenn wir unseren Wald zum Beispiel nur noch dadurch retten könnten, dass wir große Teile, insbesondere der jungen Bäume, einzäunen, um sie vor Wildverbiss zu schützen, dann machen wir etwas falsch. Denn das hieße ja schon: wir hätten zu viel Wild!“

Haben Sie eine Lieblingsstelle im Darmstädter Wald?

„Ach, da gibt es viele! Aber wirklich einzigartig, auch hessenweit, ist das Ensemble rund um das Jagdschloss Kranichstein. Da haben wir zum einen das Jagdschloss mit dem Jagdmuseum, dann gleich in der Nähe das über einhundert Meter lange Zeughaus, das heute das Bioversum birgt und in dem früher die Jäger der Landgrafen einfach so mit ihren Kutschen hindurchgefahren sind, um Sachen für die Jagd aufzuladen. Und dann haben wir auch noch den ganzen Staatswald ringsherum, mit dem Wildschutzgebiet und dem jagdhistorischen Pfad. Das ist schon einmalig. Wenn man sich das einmal anschaut, dann sieht man auch die historischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Jagd. Denn während die meisten Menschen früher in Darmstadt darbten, veranstaltete der für seine Jagdleidenschaft bekannte Landgraf Ludwig VIII. aufwendige höfische Jagden. Über ihn wird zum Beispiel berichtet, dass er sich mit einer Kutsche, die von weißen Hirschen gezogen wurde, nach Darmstadt ins Theater fahren ließ. Das ist schon Wahnsinn, was da abging!“

Richten wir den Blick noch einmal ins Hier und Jetzt. Wie soll denn der Wald der Zukunft aussehen? Und helfen uns da Tiny Forrests oder andere Experimente weiter?

„Wir brauchen einen klimastabileren Wald. Der wird aus heimischen Baumarten wie der Rotbuche, aber möglicherweise auch aus beigemischten ‘neuen’ Baumarten bestehen. Aktuell entsteht dazu gerade eine Versuchsfläche in Malchen, die ist mehrere Hektar groß. Da pflanzen wir verschiedene Baumarten, von Zedern über Esskastanie und Tulpenbaum bis hin zu Douglasie und Winterlinde. Also alles eher Bäume, die klimaresistenter sind und besser mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen als unsere jetzigen Bäume. Wissenschaftlich betreut wird das Ganze übrigens von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt Göttingen.“

Wann werden Sie sagen können, ob dieser Versuch geglückt ist?

„Das werden wir erst rückblickend sagen können. Es werden Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergehen, bis wir sehen, ob die heutigen Pläne aufgegangen sind. Bei meinen Waldexkursionen sage ich den Teilnehmern deshalb immer: ‘Lassen Sie uns doch in 100 Jahren noch einmal gemeinsam herkommen und schauen, was daraus geworden ist!’.“

Und gibt es noch weitere spannende Forschungsprojekte?

„Neben dem genannten Projekt haben wir noch ein Naturwald-Reservat in Seeheim, in dem schon seit 30 Jahren keine Nutzung mehr stattfindet. Und wir haben noch kleinere Naturwaldentwicklungsflächen, die überall in der Gegend verstreut sind. Die bekannteste davon ist der ‘Fabienne-Steig’ in Kranichstein. Das wird der Urwald von morgen! Aber nur der ‘Fabienne-Steig’ ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Alle anderen Flächen sind nicht begehbar, denn sonst hätten wir da überall ein Verkehrssicherungs-Problem, müssten also immer schauen, das da niemandem etwas passiert, beispielsweise durch umstürzende Bäume oder weil der Untergrund glitschig ist. Denn am Ende wollen zwar alle wilde Natur, aber keiner will die Risiken!“

Guter Punkt! Die meisten Menschen scheinen ja zu wollen, dass man den Wald in Ruhe lässt, beschweren sich aber zugleich, wenn er gesperrt wird…

„Ja, das stimmt. Es wäre wirklich gut, den Wald mal in Ruhe zu lassen, denn er ist eh schon viel zu Vielem ausgesetzt. Die äußeren Rahmenbedingungen ändern sich außerdem die ganze Zeit, mal schneller und mal langsamer. Aber das hieße dann auch, dass der Mensch nicht mehr in den Wald gehen und sich dort erholen kann. Der nachhaltige Rohstoff Holz würde dann auch nicht mehr produziert werden Und das kann niemand wirklich wollen. Denn dann könnten sich auch viele von uns nicht mehr im Grünen erholen und ausleben.“

Aber was kann man stattdessen tun?

„Nun, zunächst muss man sich entscheiden, was man will. Entweder lässt man den Wald in Ruhe, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Oder man verfolgt bestimmte Zielvorstellungen, zum Beispiel in punkto Klimastabilität und Waldnutzung, inklusive der Holzernte für die Papierindustrie und den Hausbau. Außerdem gibt es auch noch weitere Faktoren, die immer wieder an uns herangetragen werden: Der eine will eine neue ICE-Strecke, der andere eine Straße. Das hat ja auch Auswirkungen auf den Wald. Das alles muss man irgendwie miteinander in Einklang bringen.“

Was können wir Menschen tun, damit es dem Wald wieder bessergeht? Der berühmte Bergsteiger Reinhold Messner hat ja schon mehrfach in Interviews gesagt, wir müssen uns auf Verzicht einstellen, wenn wir die Welt retten wollen.

„Auch ich sehe mit Sorge, dass wir immer mehr Menschen werden auf dieser Welt. Und dass alle, und das ist ja auch berechtigt, einen Lebensstandard wollen, wie wir ihn schon haben. Aber stellen Sie sich nur mal vor, wenn jetzt jeder überall auf der Welt ein Auto fährt und Fernwärme hat, das kann doch nicht gut gehen. Wir werden da alle umdenken müssen. Der Ressourcenverbrauch ist jetzt schon viel zu hoch. Da müssen ganz schnell viel striktere Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden, als wir sie bisher haben.“

Und last, but not least: wenn jemand sich gern intensiver mit dem Thema „Wald“ beschäftigen will, wo kann er oder sie sich informieren oder gar weiterbilden?

„Natürlich bei uns im Forstamt, aber auch im Rahmen unserer Veranstaltungen oder sogar eines Bildungsurlaubs: Die Volkshochschule Darmstadt-Dieburg wird dazu nächstes Jahr im Juni wieder gemeinsam mit der Pilzexpertin Irmtraut Lampert einen einwöchigen Bildungsurlaub anbieten, bei dem wir auch beteiligt sind und uns mit einem eintägigen Seminar einbringen.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Forstamt Darmstadt in der Ohlystraße im Paulusviertel, Bessungen

Das Forstamt Darmstadt

Das Forstamt Darmstadt hat seinen Sitz in einem alten Forsthaus in der Ohlystraße 75 im Bessunger „Paulusviertel“.

Es ist verantwortlich für etwa 14.500 Hektar Wald, davon sind etwa 7.000 Hektar Staatswald, 7.000 Kommunalwald und 500 Hektar Privatwald.
Die Flächen werden von acht Revierförstern gepflegt. Sie erstrecken sich von Erzhausen bis zum Melibokus und von Roßdorf bis Griesheim. Die hier präsenten Baumarten sind Buche, Kiefer und Eiche. Sie stehen exemplarisch für die abwechslungsreichen Mischwälder in unseren Breiten, aber besonders die drei aufeinander folgenden Hitzesommer 2018, 2019 und 2020 haben ihnen stark zugesetzt.

Mehr Informationen zum Forstamt Darmstadt gibt es auf der Webseite von Hessen Forst.

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