Clean up Gruppe Darmstadt: Müllsammeln und Bewusstsein schaffen

Müll in der Natur lockt Ratten an, birgt Gefahren für Kinder und Tiere, verseucht das Grundwasser und sieht einfach nicht schön aus. Darmstadt vom Müll zu befreien, das hat sich die Facebookgruppe „Clean up Gruppe Darmstadt“ zur Aufgabe gemacht. Regelmäßig organisiert die Gründerin Melanie Kerth gemeinsame Aufräumaktion, bei denen insgesamt schon zahlreiche Tonnen Müll aus Darmstadts Wäldern geholt wurden.

Die Gründerin der “Clean up Gruppe Darmstadt” Melanie Kerth (rechts) und Mitglied der Gruppe Babette Fiedler (links)

Spazierende, Joggende, Fahrradfahrende: An einem Schotterweg am Oberfeld genießen sie alle an diesem Samstagvormittag bei ihrer Sporteinheit die Natur. Auch andere haben dort erst kürzlich ihre Zeit in der Natur genossen – und dabei ihre Spuren hinterlassen: Becher, Plastikflaschen, Dosen, Gläser, Tüten und sogar Gewürzpackungen häufen sich zwischen Gebüschen und Blättern, für jeden Vorbeigehenden sichtbar.

Doch so einfach daran vorbeigehen, das kann Melanie Kerth nicht. „Ich kann nicht mehr wegschauen“ – dieser Gedanke kam ihr bei einer Irlandreise, als sie dort Unmengen von Müll am Strand liegen sah. Seitdem geht sie regelmäßig in Darmstadts Natur Müllsammeln.

DIE SAMMLER: DIE CLEAN UP GRUPPE DARMSTADT

Als die Darmstädterin merkte, wie viel Müll teilweise in Darmstadts Waldstücken liegt, beschloss sie sich über Facebook mit anderen zum Aufräumen zu organisieren und erstellte eine Facebookgruppe. Der erste Versuch einer Gruppe scheiterte zwar, doch sie gab nicht auf und versuchte es 2019 nochmal – und war damit erfolgreich. Schon gleich meldeten sich Leute, um in der „Clean up Gruppe Darmstadt“ mitzusammeln. „Das war das perfekte Jahr, um damit anzufangen“ sagt Melanie Kerth, denn gerade durch Greta Thunbergs Protestaktion und die Fridays-For-Future-Bewegung, die zu dieser Zeit immer bekannter wurde, habe die Bereitschaft und das Bewusstsein in solchen Umweltthemen zugenommen und es erklärten sich mehr bereit mitzuhelfen.

Seit circa zwei Jahren sammelt die Clean up Gruppe Darmstadt jetzt regelmäßig Müll, meistens sind sie zu sechst bis zehnt unterwegs. Insgesamt hat die Facebookgruppe jetzt schon fast 280 Mitglieder. Zum Sammeln kommen immer mal wieder Neue dazu, aber es hat sich auch ein sehr aktiver fester Stamm aus rund zwölf Personen gebildet. Aus der Gruppe sind auch schon neue Gruppen im Ried und in Roßdorf entstanden, die das Ganze bei der Clean up Gruppe Darmstadt mitverfolgt hatten. Das Projekt wächst.

Von Jung bis Alt ist alles in der Gruppe vertreten, auch Kinder sind immer mal dabei. Müllsammeln ist nicht an bestimmte Berufsgruppen oder Bildungsgrade gebunden, sagt Melanie Kerth, aber: „Es sind schon eher Menschen, die sich Gedanken machen.“ Und zwar um ihre Umwelt und ihre Stadt.


WARUM IST ES WICHTIG, EINE STADT SAUBER ZU HALTEN?

Melanie: „Also zum einen, weil es schöner aussieht. Zum anderen, weil es die Ratten fernhält. Wir haben in Darmstadt ein massives Rattenproblem, das kann man jeden Abend beobachten. Und dann natürlich, weil das ganze Plastik zersetzt sich ja nicht, das bleibt da liegen und geht in den Boden. Mit den Kippen ist das ähnlich, da sind so viele Giftstoffe drin, die dann mit dem Regenwasser runter ins Grundwasser gespült wird. Das verseucht den Boden. Und Tiere verletzen sich am Müll, gerade im Wald. Was wir da schon für Drähte rausgeholt haben, wenn da ein Reh hängenbleibt und nicht mehr rauskommt oder sich verletzt, ist das vielleicht sein Todesurteil. Die Vögel verheddern sich in den Corona Masken wegen dem Gummi. Also es ist für die Tiere nicht gut, es ist für die Umwelt nicht gut und es gehört da auch einfach nicht hin.“


IGNORANZ ODER UNWISSENHEIT?

Zurück am Oberfeld. Arbeitshandschuh an, Müllbeutel raus und es kann losgehen. Beim Aufräumen versucht man sich die Geschichte des Mülls irgendwie zu rekonstruieren. Wie kam er an diesen Ort? Die Flaschen, Becher und Dosen lassen vielleicht auf eine Party schließen. Eine Party an einem rostigen Zaun bei einem belebtem Schotterweg im nassen Gebüsch und das im Winter? Klingt eher unwahrscheinlich. Vielleicht wurden die vermeintlichen Party-Überreste hier nur entsorgt?

Doch warum machen das Menschen? Melanie Kerth hat sich diese Frage auch schon gestellt, kennen tut sie die Antwort nicht. „Also ich denke zum einen ist es Ignoranz. Das ist wahrscheinlich sehr weit verbreitet. Vielleicht auch ein Stückchen Unwissenheit, wobei ich mir das heute kaum noch vorstellen kann, weil wir heute medial eigentlich überschüttet werden mit den Folgen von Umweltverschmutzung.“ Nachvollziehen kann man es jedenfalls nicht. Das ist kein Müll, der aus Versehen aus der Tasche in die Natur gefallen ist, das hier ist pure Absicht.


DER MÜLL: VON DER CAPRI SONNE BIS ZUM GELDBEUTEL

Zu dritt werden in nur wenigen Minuten aus dem Müllhotspot zwei gefüllte Müllbeutel. Der Müll wird gleich vor Ort getrennt, Pfandflaschen werden aussortiert und in einem separaten Beutel gesammelt. Sie werden später Obdachlosen gegeben.
Der Müll am Oberfeld entspricht größtenteils dem Durchschnittsmüll; Plastikflaschen und Dosen findet man meistens. Was auch oft in der Natur entsorgt wird sind Capri Sonne, Zigaretten – und jetzt in Zeiten der Pandemie die Mund-Nasen-Schutze. Doch natürlich findet man auch mal ungewöhnliche Sachen. So hat Melanie Kerth beispielsweise auch mal einen zugeklebten Geldbeutel im Wald gefunden, zwar ohne Geld, aber dafür noch mit allen möglichen Papieren drin. Auch Tierschädel findet sie häufiger mal. Sie hat schon einen Wildschweinschädel, einen Rehschädel und einen Katzenschädel gefunden, die sie mittlerweile auch sammelt. Da bekommt das Sammeln in Müllsammeln nochmal eine ganz andere Bedeutung.

„Das war jetzt wenig“, sagt sie und zeigt auf die Müllbeutel. „Ich würde mal sagen, sonst sammeln wir mindestens das 15-fache von dem. Nur, dass wir das dann nicht an einem Platz haben, sondern verteilt.” Den meisten Müll gesammelt hatte die Gruppe bis jetzt am „World Cleanup Day 2020“, da kam eine Tonne an Abfall zusammen. Am World Cleanup Day sammeln Menschen aus aller Welt Müll, wiegen ihre „Beute“ und tragen sie dann zusammen. Trotz Corona beteiligten sich 2020 über 80.000 Menschen in Deutschland an der Initiative.

Apropos Corona: Tatsächlich fand die Gruppe zu Zeiten der Pandemie mehr Müll als vorher. Einerseits wegen der Einwegmasken, die an jeder Straßenecke liegen, anderseits entsorgten die Menschen auch ihren anderen Müll mehr in der Natur. Woran das liegt, kann Melanie Kerth nur vermuten: „Möglicherweise haben die Menschen in der Corona Zeit mehr aufgeräumt und ausgemistet und wussten dann nicht wohin damit“.


GIBT ES KONKTRETE FORDERUNGEN, WAS DIE STADT MACHEN KÖNNTE, UM MÜLLENTSORGUNG IN DER UMWELT ZU VERHINDERN?

Melanie: “Ja gibt es, die kommen aber anscheinend leider nicht an. Also was sehr zu wünschen wäre, wären einfach mehr Mülleimer tatsächlich. Wir haben festgestellt, dass die Mülleimer eher abgebaut als aufgestockt werden. Es kann auch sein, dass die Stadt vorhat Mülleimer auszuwechseln, da diese ja oft offen sind und die Raben und Krähen dort oft Essen suchen und dann den Müll in der Gegend verteilen. Aber mir fällt auf, dass es immer weniger Mülleimer werden anstatt mehr. Es wäre auch schön, wenn die Stadt uns eine Kiste mit Müllsäcken und vielleicht ein paar Zangen spendieren könnte, aber wir können auch zum EAD gehen, da bekommen wir das auch. Wenn wir wollen, können wir uns dort immer Zangen ausleihen, die wir dann wieder zurückbringen müssen.”


DIE ENTSORGUNG

Der Müll am Oberfeld ist eingesammelt und in Müllsäcken getrennt. Wir schleppen die Säcke einige Meter weiter an eine Weggabelung. Dort kommt dann in einigen Tagen die EAD vorbei, der städtische Betrieb, der sich unter anderem um die Abfallverwertung kümmert, und nimmt den gesammelten Müll mit. Doch bis dahin bleiben die Müllsäcke erstmal an dieser öffentlichen Stelle stehen. Sie werden noch mit einem Schild der Gruppe versehen, mit welchem sie auf die auf die Vermüllung aufmerksam machen und zum Mitsammeln anregen. „Wenn die vorbeigehenden Leute dann die ganzen Säcke sehen und dann noch das Schild lesen, weckt das ja auch manchmal auf.“


BEWUSSTSEIN SCHAFFEN

Aufmerksamkeit auf das Thema lenken, das will die Clean up Gruppe auch erreichen. Das öffentliche Müllsammeln führt nicht nur zu einem saubereren Darmstadt, sondern auch zu einem bewussteren Darmstadt. Sieht man andere bei Cleanups, ist das ein Anreiz selbst darauf zu achten, wie man mit seiner Umwelt umgeht. Durch die Warnwesten, die sie manchmal tragen, fallen sie besonders auf. „Wir werden auch sehr oft angesprochen und bekommen auch sehr viel positives Feedback. Und manche fragen dann auch nach, wie wir uns organisieren. Dadurch sind dann auch schon ein paar in die Gruppe dazugekommen.“

Nicht nur mit dem Sammeln selbst, sondern auch mit kreativen Ideen hat Melanie Kerth schon auf die Ausmaße der Umweltverschmutzung aufmerksam gemacht. Vor zwei Jahren sammelte sie beispielsweise wochenlang beim Spazierengehen im Woogsviertel Kippenstummel, die sie in einer Kiste sammelte und diese dann auf einen Stromkasten stellte. Dort schrieb sie auf einem Plakat, wie viel Grundwasser die Zigaretten verseuchen würden, wenn sie hier liegengeblieben wären. Darüber berichteten dann auch verschiedene Medien und das Thema gewann an Öffentlichkeit.

Die Facebookgruppe ist für jeden zugänglich und jeder kann sich anschließen, Darmstadt sauberer zu machen. Ein Beitrag dazu wäre schon, beim Spazierengehen einen Müllbeutel dabeizuhaben und Müll mitzunehmen, wenn man ihn sieht. Oder man geht „Ploggen“ („plocka“ (schwedisch für aufheben) und Joggen). Beim Plogging sammelt man beim Joggen Müll – man tut also gleichzeitig etwas für die Umwelt und für seinen Körper.

Die Clean up Gruppe hat auch Pläne für die Zukunft: Am nächsten World Cleanup Day wollen sie Schulen und Kindergärten mobilisieren, mitzusammeln. Ein Ziel wäre es, feste Termine im Jahr zu arrangieren, an denen viele Menschen mithelfen Darmstadt mal Grund zu reinigen. Bis dahin gibt die Gruppe weiterhin ihr bestes die Stadt sauberer zu machen, Gefahren für Tiere und Kinder zu bannen und mit ihrer Präsenz auf die Ausmaße des Mülls aufmerksam zu machen und ein Bewusstsein für das Thema in der Stadt zu schaffen. Denn wächst das Bewusstsein, reduziert sich der Müll – und Darmstadt wandelt sich.

CLEAN UP GRUPPE DArmstadt

Hier geht es zur Facebookgruppe
…und hier zur Webseite von Clean Up Darmstadt.

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