Seit einem guten halben Jahr sind die neuen Shuttle-Busse der HEAG mobilo auf Darmstadts Straßen unterwegs. Als neue Ergänzung zum bestehenden Nahverkehrsangebot soll der HeinerLiner die Mobilitätswende vorantreiben. Wir haben geschaut, wie gut das gelingt.
Die Stadt Darmstadt hat beschlossen, ihr Nahverkehrsangebot um den „HeinerLiner“ zu erweitern. Was das ist? Laut den Plakaten überall in der Stadt wohl eine Art Shuttlesystem, aber das reicht mir noch nicht. Ich will mich selbst überzeugen und buche mir eine Fahrt. App runtergeladen, angemeldet, Start- und Zielort festgelegt und gebucht – auf einem virtuellen Stadtplan kann ich jetzt nachverfolgen, wo sich mein Shuttle gerade befindet, und wann es für die Fahrt bereitsteht.
Meine Fahrt beginnt im Johannesviertel, ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt, und endet auf der Mathildenhöhe direkt am Hochzeitsturm – eine Strecke, die ohne Umstieg und Fußweg nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) möglich ist. Preis für die Fahrt: 3,90 Euro – dank meines Jobtickets des RMV habe ich einen Rabatt erhalten. Der Grundpreis für jede Fahrt beträgt ohne Ermäßigung 4 Euro (2 Euro Grundtarif plus 2 Euro Komfortzuschlag), ab dem zweiten Kilometer werden außerdem 35 Cent pro Kilometer berechnet.
Kurz bevor es Zeit für die Abfahrt ist, schaue ich in die App und sehe, dass mein HeinerLiner schon auf mich wartet. Ich beschließe früher loszugehen, um meinen Fahrer kennenzulernen – aufgrund des frühen Erscheinens gehe ich davon aus, dass sonst niemand im Shuttle sitzt und wir ein paar Worte in Ruhe wechseln können. Und meine Vermutung soll sich bestätigen.
Mein heutiger Fahrer heißt Jochen Daum, ist 75 Jahre alt und übernimmt in seiner Rente ein bis zweimal die Woche eine Schicht. „Ich bin 30 Jahre lang Reisebusse gefahren, vor allem für Kulturreisen – dafür habe ich selbst ein großes Interesse“, stellt er sich vor. Er sei schon so früh im Viertel, weil er in seiner Wartezeit die schönen Altbauten genießen wolle – ich schmunzle und sage, dass sie einer der Gründe sind, warum ich hier so gerne wohne. Und dann fahren wir auch schon los.
„Am Anfang gab es kaum Fahrten, da stand ich oft die Schicht über einfach rum, aber mittlerweile wird es mehr“, sagt Jochen Daum. Unsere Fahrt sei schon die 5te heute, aber seine Schicht endet auch in etwas mehr als einer Stunde. Während der Fahrt machen wir keinen Zwischenstopp, um weitere Mitfahrer:innen einzusammeln. Möglich wäre es – bis zu sieben Fahrgäste haben Platz in einem Kleinbus, aber wegen der Corona-Pandemie sind aktuell nur vier Fahrgäste erlaubt. Je mehr Menschen sich eine Fahrt teilen, desto günstiger wird sie – 50 Prozent Ermäßigung für jede weitere Begleitperson, um genau zu sein.
Neben dem Ausbau des Nahverkehrsnetzwerks ist vor allem Nachhaltigkeit das große Aushängeschild des HeinerLiner. Alle Busse sind mit E-Motoren ausgestattet und fahren laut HEAG mobilo mit 100 Prozent Öko-Strom. Nachts stehen die Fahrzeuge gesammelt auf dem Betriebshof und werden geladen, erklärt mir Fahrer Jochen Daum. Dort holt er bei Schichtbeginn seinen Bus und stellt ihn bei Schichtende wieder ab. Probleme mit dem Laden hätte es noch nicht gegeben: „Mein Akku ist während einer Schicht noch nie leer gegangen. Und selbst wenn die Ladung mal über Nacht nicht funktioniert hat – dann nehme ich einfach einen anderen Bus, Fahrzeuge gibt es genug“, so Daum.
Der HeinerLiner soll als Bindeglied zwischen ÖPNV und Taxis fungieren und mehr Komfort in den Nahverkehr bringen. Dass weitere Fahrgäste zusteigen können und die Fahrten nicht vor der eigenen Haustür beginnt, werden von der HEAG mobilo als die Hauptunterschiede zum Taxi genannt. „Das Taxi holt einen direkt vor der Haustür ab und fährt einen dorthin, wo man hinmuss. Der HeinerLiner hält an der nächstgelegenen virtuellen Haltestelle – die kann aber bis zu 200 Meter Fußweg entfernt sein“, erklärt der Pressesprecher der HEAG mobilo Lennart Sauerwald. Dass der neue Ride-Pool-Service der HEAG eine direkte Konkurrenz ist, sehen weder Lennart Sauerwald noch Fahrer Jochen Daum. „Wenn ich Wartezeiten habe, stehe ich oft bei den Taxifahrern und rede mit ihnen – da hat niemand Angst, dass der HeinerLiner ihnen Fahrten wegnimmt“, so Daum.
Mit dem Taxi fahre eine ganz andere Klientel, die einen höheren Komfort bevorzuge, sagt der Shuttle-Fahrer. Auf die Thematik angesprochen, ist von den Taxi-Unternehmen eine etwas andere Sicht zu hören. Sie fürchten durch die Corona-Pandemie eh schon um ihre Existenz und im HeinerLiner sehen sie eine subventionierte Konkurrenz. „Anders, als es vermarktet wird, fährt der HeinerLiner auch von Haustür zu Haustür. Das habe ich selbst ausprobiert“, erzählt Taxi-Unternehmer Michael Greulich. „Es ist auch schon mehrfach vorgekommen, dass HeinerLiner-Busse auf Taxistellplätzen standen, was verboten ist. Die wurden dann vertrieben oder zur Anzeige gebracht.“
Wenn ich mich in meiner Bubble umhöre, ist noch ein weiterer Aspekt zum HeinerLiner umstritten. Seit Jahren wird eine Reform des ÖPNV gefordert: Günstigere/kostenlose Fahrten sowie bessere Anbindungen vor allem auf dem Land sind besonders gefragt. Da wirkt ein Shuttle-System wie falsche Prioritätensetzung. Laut Pressesprecher Sauerwald ließe sich das nicht so einfach in einen Topf schmeißen: „Der HeinerLiner ist eine Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs in Darmstadt und für den Landkreis planen wir auch schon den DaDiLiner. Aber auf die Fahrpreise haben wir keinen Einfluss, das läuft über den Verkehrsverbund RMV. Dort würde es auch nichts helfen, wenn wir mehr Geld investieren würden.“ Außerdem schließe ein Projekt wie der HeinerLiner ja nicht aus, dass an anderer Stelle gearbeitet wird. „Das läuft alles parallel“, so Sauerwald.
Die Bilanz zum Abschluss meiner Recherche fällt trotz der Kritikpunkte positiv aus: Meine Fahrt mit dem HeinerLiner hat mich überzeugt und ich sehe ihn als praktische Ergänzung mit niedrigschwelligem Angebot. Das Ride-Pool-System ist vielleicht nicht die Revolution des ÖPNV, auf die viele warten, aber es schließt ein paar große Lücken und setzt neue Akzente. Wie sich der blau-orangene Shuttle-Bus in die Stadtstruktur und das bestehende Verkehrsnetz eingliedern wird, bleibt abzuwarten, aber die aktuelle Entwicklung lässt auf mehr hoffen.